Am 28. Juli 1896, zum 25. Jubiläum des Deutschen Kaiserreichs, wurde am freien Platz an der Ludwigstraße das Kriegerdenkmal errichtet. Es sollte an die Opfer des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 erinnern. Dass es zusätzlich noch an zwei Weltkriege erinnert (das Denkmal steht heute am Pfaffenbrunnen), konnte sich zu dieser Zeit wohl keiner so recht vorstellen. Auch bei der Errichtung des Friedensdenkmals in der Altstadt im Jahre 1911 durch Georg Busch und Louis Meyer-Gerngroß wurde noch eingehend vor den Schrecken des Krieges gemahnt.
Jedoch schon drei Jahre später begann der Erste Weltkrieg, der auf dem gesamten Kontinent für bisher ungekanntes Leid und Schrecken sorgen sollte. In den beiden zunehmend sozialdemokratischen Teilen Steinheims (insgesamt ungefähr 6.000 Einwohner) durchbrach damals die Ausrufung des Kriegszustands und die damit verbundene Mobilmachung einen eigentlich friedlichen und weitestgehend geordneten Alltag.
Feldpostkarte eines Groß-Steinheimer Soldaten an seine Familie vom 26./27.03.1917
Bild: aus Sammlung Dr. med. Otto Kunkel; Heike Metko
Gruppenbild „Lazarett im Schloss“ 1916
Bild: Medienzentrum Hanau-Bildarchiv / MZHU4356_E1
Steinheimer Bürger wurden zum Wehrdienst eingezogen, Waffen, Munition und Nutztiere beschlagnahmt. Mit den andauernden Kriegshandlungen kamen erste (meist französische) Gefangene und Verwundete in die Stadt, dazu die ersten Nachrichten von Gefallenen. Im Kreiskrankenhaus in Groß-Steinheim wurde ein Lazarett errichtet, später auch im Schloss. Viele Kriegsgefangene wurden zum Arbeiten ein geteilt, wobei einige der Gefangenen sich verweigerten oder sabotierten. Manche entschieden sich zur Flucht. Zur Kriegsfinanzierung stand in Steinheim unter anderem ein sogenanntes Nageldenkmal in Form eines Ritters mit Steinheimer Wappen auf dem Schild. Dort konnte man gegen eine Spende einen Nagel einschlagen und sich namentlich in ein Spenden-Buch eintragen. Im zunehmenden Kriegsverlauf litten die Steinheimer Familien unter den knappen Lebensmittelzuteilungen, Wucherer und Hamsterer wurden bloßgestellt, Vieh zwangsgeschlachtet.
Der Krieg sollte letztlich sehr viel länger dauern, als anfangs noch euphorisch erwartet. Zu Kriegsende hatte Groß-Steinheim 92 Gefallene zu beklagen, Klein-Steinheim 95 Gefallene und 5 Vermisste. Das sind über 3 Prozent der damaligen Bevölkerung. Hinzu kamen die vielen verwundeten, verstümmelten oder traumatisierten Rückkehrer.
Der Erste Weltkrieg gilt heute als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, in welcher es zu einer Vielzahl von Gräueltaten kam und die Kriegsmaschinerie einen gewaltigen Entwicklungsschub machte. Die Bilder dieses Graben- und Gaskriegs sind heute im kollektiven Gedächtnis fest verankert. Die Not als Folge des Kriegs bereitete den Nährboden für noch Schlimmeres.
Von dem Elend des ersten großen Weltkriegs erzählt eines der kuriosen Exponate: eine Kugel und Teile des entfernten Unterkiefers des Urgroßvaters von Matthias Schaffner. Friedrich Schaffrath II. wurde im Ersten Weltkrieg schwer verwundet und kam als Kriegsinvalide nach Hause. Er hatte einen Kieferdurchschuss und so musste ein Teil des Kieferknochens samt Kugel operativ entfernt werden. Schaffrath konnte seinem Beruf als Goldschmied nicht weiter nachgehen, da er durch die Folgen der Verwundung keine Feinarbeiten machen konnte. Die Schachtel mit Knochen und Kugel wurde von Schaffraths Frau und später von seiner Tochter bewahrt.
So kann Matthias Schaffner als Nachfahre heute berichten: „Zu der Zeit der Verwundung waren meine Urgroßeltern verlobt und meine Uroma hat ihren Mann nach dem Krieg, trotz seiner schweren Verwundung in wirtschaftlich bitteren Zeiten, geheiratet. Sie musste damals die Ernährung der Familie bewerkstelligen, da ihr Mann Invalide war und nur eine kleine Rente bekam. Die Liebe war stärker.“
Leihgeber
- Kieferfragment mit Kugel, Fotografie: Matthias Schaffner
- Postkarte: Heimat- und Geschichtsverein Steinheim am Main e.V.