Die regionale Mundart bringt oftmals interessante und lustige, mit Anekdoten garnierte Wortschöpfungen und tradierte Eigennamen hervor. Es ist zu beobachten, dass die Bewohner einer traditionsverbundenen Gegend stark dazu neigen, besonderen Orten, Dingen oder Menschen ihrer Umgebung eine nicht allzu ernst gemeinte Art Spitznamen zu geben, die sich dann über Jahrzehnte und Jahrhunderte in die kollektive Erinnerung einfügen. In Steinheim gibt es unzählige davon, so sind beispielsweise die ländlichen Klein-Auheimer Nachbarn die Knerrn, der in der Scheuer herabhängende Tabak der Scheuerbambel und das alte Kettenschiff aus dem 19. Jahrhundert die Maakuh usw.
Auch im Kontext der alten Steinbrüche haben sich zwei der lokal bekannteren Spitznamen und deren Geschichten bis heute erhalten: Der Rambe-Major (Rampen-Major) war der ehemalige Steinheimer Wilhelm Adam, welcher in den 1950er Jahren die Idee hatte, für die neue Siedlung der westlichen Pfaffenbrunnenstraße, gemeinsam mit anderen Bauherren, Basaltsteine aus der Verladerampe (Plattform) des ehemaligen Steinbruchs am Lämmerspieler Weg abzubrechen und für den Hausbau zu nutzen. Letztlich sollte die Polizei vor Ort klarstellen, dass das so nicht erlaubt gewesen war und somit die Steine wieder mühsam rückgeführt und händisch eingebaut werden mussten. Adam soll im Zweiten Weltkrieg der Erzählung nach Major gewesen sein, da lag der Spitzname klar auf der Hand.
„Stabels Lisbeth“, Zeichnung von Wilhelm Gesser,
vermutl. 1920er Jahre
Bild: Gernot Gesser
Steinheimer Steinbruch
Bild: aus Sammlung Dr. med. Otto Kunkel; Heike Metko
Bis in die Mitte der 1970er Jahre gab es in der Offenbacher Landstraße 110 das beliebte Ausflugslokal Zum Kühlen Grund. Allerdings gingen die Steinheimer seit jeher, wollten sie dem Lokal einen Besuch abstatten, zur sogenannten Stabels Lisbeth (Elisabeth Stabel). 1877 wurde deren Mann Adam Höfler beim Nachgehen seiner Arbeit im Steinbruch „in der Teufelskaute“ von Steinen erschlagen. Der Besitzer des Steinbruchs, der Frankfurter Brauereibesitzer und Unternehmer Koch gab daraufhin der Witwe Elisabeth die Erlaubnis, in seinem über den Steinbruchweihern an der Straße liegenden Pferdestall für die Steinbrucharbeiter Bier, Schnaps und Frühstück zu verkaufen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus der beliebte Ausflugsort.
Die Stabels Lisbeth spielt im Steinheimer Wilderer- und Schlüsselroman Höllenhütte als „die Denz“ eine der zentralen Rollen. Der Legende nach ist die Stabels Lisbeth die Erfinderin des Flaschenbierverschlusses in Süddeutschland. Da es die Steinbrucharbeiter viel Zeit kostete, wenn sie in ihren Pausen zur Scheune spazierten, um etwas zu trinken, kam Lisbeth auf die Idee, in Glasflaschen gefülltes Bier mit einem Verschluss zu versehen und es den Männern direkt am Arbeitsplatz anzubieten. Zur etwa gleichen Zeit wurde in Berlin der Bügelverschluss erfunden, es bleibt also unklar, wem nun tat sächlich die Ehre der Erfindung zusteht. Dass auch die Klein- Auheimer solch eine Erfindung für sich beanspruchen, zeigt, dass es sich bei manch einer Geschichte, mit Augenzwinkern und Humor betrachtet, eher um eine etwas über die Jahrzehnte lokalkoloristisch verklärte Wunschvorstellung handeln könnte.
Leihgeber
- Gerhard Jakob